In der gestrigen Wahl zum Unterhaus in Großbritannien, also eigentlich Parlamentswahlen, hat keine Partei die absolute Mehrheit erringen können. Zwar haben die Konservativen unter David Cameron deutlich zulegen können (ein Plus an 94 Sitzen auf insgesamt 305 Sitze), aber ihnen fehlen 21 Sitze zur absoluten Mehrheit. Schon sprechen die britischen Medien von einem Hung-parliament, eine Situation, die das letzte mal 1974 eintrat. Die Labour Party unter dem amtierenden Premierminister Gordon Brown hat deutliche Verluste einfahren müssen (ein Minus an 88 Sitzen auf insgesamt 254 Sitze). Enttäuscht haben die Liberaldemokraten unter Nick Clegg, sie haben entgegen der Erwartungen in den letzten Tagen des Wahlkampfs keine Sitze gewinnen können, sondern mussten sogar welche abgeben (ein Minus von 5 Sitzen auf insgesamt 54 Sitze). Bedingt durch das Wahlsystem in Großbritannien (einfaches Mehrheitswahlrecht) lässt die Sitzverteilung keine wirklichen Rückschlüsse auf das eigentliche Votum der Bevölkerung zu. In der Stimmenverteilung haben die konservativen 36,1 % aller Stimmen einheimsen können, die Labour Party hat 29,1 % der Wahlstimmen für sich verbuchen können, während die Liberaldemokraten immerhin auf 22,9 % der Stimmen kamen. Das Wahlsystem in Großbritannien benachteiligt kleinere Parteien, verständlich wenn die Liberaldemokraten das Wahlsystem ändern wollen und dies zur Forderung für mögliche Koalitionsverhandlungen erheben.
Vorläufiges Wahlergebnis
In Großbritannien hat die regierende Partei bei undeutlichen Mehrheiten das Erstrecht zu Koalitionsverhandlungen, damit könnte Gordon Brown zwar versuchen, die Liberaldemokraten zu Koalitionsverhandlungen einzuladen, käme aber dennoch nicht auf die erforderliche Mehrheit. Hier bräuchte man die Sitze der kleineren Parteien: die Democratic Unionist Party mit 8 Sitzen (radikal-evangelische Partei aus Nord-Irland), die Scottish National Party mit 6 Sitzen (eine separatistische aber linksliberale Partei aus Schottland), die Sinn Fein aus Nord-Irland mit 4 Sitzen (katholisch), die Plaid Cymru mit 3 Sitzen (eine linksliberale Partei aus Wales, regionalistisch), die Social Democratic & Labour Party mit 3 Sitzen (aus Nord-Irland, tritt für eine friedliche Vereinigung beider Staaten auf Irland ein), erstmalig die Grünen mit 1 Sitz und schlussendlich die Alliance Party aus Nordirland mit 1 Sitz (liberal und pro-UK). Die rechtsradikale British National Party und die europa-skeptische UK Independence Party werden den Einzug ins Unterhaus verpassen. Die Wahlbeteiligung wird mit knapp 65 % angegeben. Es nimmt nicht Wunder, dass die Konservativen den Wahlsieg für sich beanspruchen und die Regierungsbildung übernehmen möchten. Noch weigern sich die Konservativen eine Wahlrechtsreform durchzuführen, damit stoßen sie bei den Liberaldemokraten auf wenig Gegenliebe, währen Brown signalisiert, diese Reform angehen zu wollen. Damit ist keineswegs entschieden, welche Partei die nächste Regierung an der Downing Street 10 stellen wird.
Hung-parliament 1974
Bei den Wahlen zum Unterhaus 1974 gab es eine ähnliche Situation wie jetzt. Der Premierminister der Konservativen, Edward Heath, setzte gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung den EG-Beitritt 1972 durch. Zudem war die Regierungszeit turbulent, da es 1973 eine gewaltige Wirtschaftskrise (so genannter Erdöl-Schock) gab. Heath versuchte auch, die damals mächtigen britischen Gewerkschaften mit Gesetzen zu“ zähmen“, ohne Erfolg. Dies sollte erst der konservativen Thatcher ab 1983 gelingen. Zudem verlor Heath die Unterstützung der radikalen Protestanten aus Nord-Irland, da unter seiner Regierung ein Friedensabkommen (Abkommen von Sunningdale, Miteinbeziehung der Katholiken in Nord-Irland, Abkommen aufgrund des Widerstandes der radikalen, evangelischen Unionisten gescheitert) unterzeichnet wurde. Heath versuchte mit vorgezogenen Parlamentswahlen neue Mehrheiten zu gewinnen, der Plan ging allerdings daneben. Obwohl die Konservativen die meisten Stimmen bekamen, gelang es der Labour Party die meisten Sitze zu gewinnen (Stichwort: Mehrheitswahlrecht!). Damals versuchten die Konservativen mit den Liberalen Koalitionsverhandlungen durchzuführen, scheiterten aber an den Forderungen der Liberalen. Somit konnte die Labour Party unter Harold Wilson eine Minderheitsregierung bilden, die in späteren Wahlen bestätigt wurde.
Die Aussicht-trübe
Das Vereinigte Königreich sieht sich massiven Problemen ausgesetzt. Die Nettoneuverschuldung liegt ähnlich wie in Griechenland bei knapp 12 %, massive Einsparungen werden von der nächsten Regierung angestossen werden, egal welche Partei die Regierung stellt. Ob soziale Unruhen zu befürchten sind, bleibt ungewiss. Unlängst verkündete der Gouverneur der Bank of England, dass die nächste Regierung für lange Zeit nicht wieder gewählt würde, da sie einschneidende Sparmaßnahmen vornehmen muss. Trübe Aussichten für das Vereinigte Königreich.