Wie ein kleines Stück Latex die Verbreitung von AIDS und anderen Geschlechtskrankheiten wirksam eindämmen könnte, und ein Altherrenclub (nach Eigenverständnis die Hirten der größten Religionsgruppe der Welt sukzessive die Organisation der Nachfolger Petri) dem Latex diese Funktion nicht gönnen mag, weil dieses gegen die eigene Moralvorstellung von Sex widerspricht; so umständlich könnte die Schmierenkomödie um die Äußerungen des Papstes Ratzinger (mit dem Künstlernamen Benedikt XVI.) lauten, wäre die Thematik an sich nicht so dringlich. Der Papst leitet eine „Kondom-Wende“ ein, lautet der Tenor in den Medien, dabei sagte Ratzinger nur, dass der Einsatz von Kondomen ausnahmsweise gestattet sei, z.B. bei männlicher Prostitution: wäre man boshaft, müsste man sich nach den ganzen Missbrauchsvorfällen innerhalb der Kirche die Frage stellen, warum gerade männliche Prostitution? Haben die geschundenen Kinder etwa Geld erhalten (um überspitzt und geschmacklos zu fragen)?
Der Publizist Peter Seewald hat ein Interview mit dem Papst verfasst, heraus gekommen ist das Buch „Licht der Welt: Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald“, ab dem 24. November in jedem gut sortierten Fachhandel zu kaufen. Die Vatikan-Zeitung L’Osservatore Romano hat erste Auszüge aus dem Buch veröffentlicht. In diesem Buch spreche der Pontifex ganz offen über Kirche in der Krise, Ökumene, Burkas und eben über Kondome. Der Sprecher des Vatikan, Federico Lombardi, stellte nach den ersten Berichten auch sofort klar, dass die Moralvorstellung der katholischen Kirche weiter unangetastet bleibe, und dass Kondome keine adäquate Antwort auf die AIDS-Pandemie biete. Aber dafür die katholische Wertevorstellung von ehelicher Treue und Enthaltsamkeit vor der Ehe; diese Jungs müssen es schließlich wissen, Zölibat hin oder her.
Die katholische Morallehre wurde von Papst Paul VI. Ende der Sechziger Jahre aufgestellt (Humanae vitae) wonach die Empfängnisverhütung nicht vereinbar sei mit Gott und so; die Deutungshoheit über weibliche Geschlechtsorgane, vielmehr eine sinnvolle Anwendungsanleitung dieser, bleibt zum Glück den Männern im Vatikan vorbehalten. Doch zum Glück kommt endlich ein Papst, der nicht ganz so weltfremd ist, auch wenn das Kondom weiterhin als Übel bezeichnet wird, aber das kleinere darstellt im Vergleich zu AIDS. Denn Ratzinger weiß zumindest, es gibt sowas wie AIDS oder Prostitution. Wahrhaft ein revolutionärer Papst!
Endlich können AIDS-Aktivisten, wie die deutsche AIDS-Hilfe, aufatmen, und das rechtzeitig zum Welt-AIDS-Tag am ersten Dezember. Doch 33 Millionen AIDS-Kranke (und an die 38 Millionen AIDS-Tote bislang) haben das Nachsehen, warum nur hat der Seewald nicht zuvor schon das Interview geführt, sagen wir mal vor 35 Jahren? Zur Ehrenrettung des Papstes muss noch eingefügt werden, nicht alle AIDS-Kranke waren/sind Katholiken, nur ein paar hundert Million Menschen nehmen den Pontifex wirklich für voll. Doch doch, der Papst wird modern, er vertritt endlich Thesen, die in die Sechziger des letzten Jahrhunderts passen. Bei Galileo hat die Einsicht unwesentlich länger gedauert! Wer noch mehr göttliche Einsichten erlangen will, kann das Buch ab Dienstag kaufen, als Alternativvorschlag können Sie für läppische 400 Euro eine Rede von Tendzin Gyatsho (Künstlername 14. Dalai Lama) erheischen, wenn dieser mal wieder eine Europa-Tournee veranstaltet.