Glauben sie mir bitte, ich wurde von der Redaktion gezwungen einen Bericht über die royale Traumhochzeit von Prinz William und seiner Angebeteten Kate Middleton zu verfassen. Die Drohung einer Klage vor dem Menschengerichtshof in Straßburg zog leider nicht. Die einzige Tatsache, die mich für den Artikel qualifizierte, sind mehrmonatige Aufenthalte in der schönen Stadt London. Den Dilettanten von einer Redaktion reicht dieser Umstand, dennoch werde ich das mulmige Gefühl nicht los, dass kein(e) Andere(r) diesen Job anfassen wollte. Also zurück zur Traumhochzeit, da soll ein fotogener Prinz William seine Kate heiraten, die Zeremonie beginnt heute 12 Uhr MEZ. 1900 erlauchte Gäste werden in der Kathedrale von Westminster Abbey genauestens achten, ob Kate verrückt genug ist, ein Ja zu hauchen. Da man im good old UK auf alles wetten kann, bieten Buchmacher eine passende Wette an, ob Kate rückratslos genug ist um in die verrückte Windsor-Familie einzuheiraten. Oder welche Hochzeitsrobe Kate von welchem Designer tragen wird. Dies sind heikle und staatstragende Fragen, die auch hiesigen Medien Anlass bietet, breit und ausführlich über die Hochzeit zu berichten. Selbst die Libyer/Syrer/Jemeniten werden heute ihre Kampfhandlungen einstellen und gebannt auf die Röhre, sukzessive auf den Flachbildschirm, schauen.
„Warum haben wir nicht so tolle Adlige?“
fragte gestern die BILD auf der Titelseite. Abgebildet waren neben den Vorzeigemonarchen Kate und William die verrückten „Adligen“ aus Deutschland, die ihre Titel gekauft haben und ihr Vermögen durch den Verkauf von menschlichem Fleisch (also Prostitution, auch Selbstprostitution) erworben haben. Nun, lassen sie uns überlegen! Mmmh, vielleicht weil das deutsche Kaiserhaus der Hohenzollern von einer Bevölkerung anno 1918 weggefegt wurde, weil sie den Krieg und die Bevormundung satt hatten? Vielleicht weil die englischen Königshäuser schon im Mittelalter angefangen haben, verbriefte Rechte an ihre Untertanen zu übertragen(Magna Charta 1215, Habeas Corpus 1679, Bill of Rights 1689), was im deutschen Reich aus verschiedenen Gründen nicht denkbar war? Noch heute besitzt das Vereinigte Königreich keine zusammengefasste Verfassung, während in Deutschland ein Grundgesetz-Patriotismus verlangt wird, bricht Großbritannien nicht zusammen, obwohl sie keine Verfassung haben (sondern eine lose Ansammlung von Gesetzesquellen, Common Law etc). Man kann davon sprechen, dass der Übergang von einer absolutistischen Monarchie in England in eine bürgerliche Gesellschaft fließend und über Jahrhunderte andauernd stattgefunden hat, während in Deutschland ein verkrüppelter Wilhelm regelrecht aus dem Land geprügelt werden musste. Doch wozu brauchen die Briten ein Königshaus, wenn die Funktion der Monarchie sich auf repräsentative Aufgaben beschränkt? Gegenfrage: wozu brauchen wir einen Bundespräsidenten? Um Brötchen aus Hannover in Berlin verkaufen zu können?
Die Windsors- eine Klammerfunktion voller Skandale
Fragen sie einen gewöhnlichen Waliser, was er/sie von Engländern hält. Oder Schotten über Engländer, Engländer über Nordiren etc. Nicht zufällig liegt die Sommerresidenz der Royals in Schottland, genauso wenig ist es Zufall, dass der Thronfolger immer automatisch den Titel Prince of Wales trägt. Die Monarchie übt eine Klammerfunktion aus, schließlich sprechen sich in Umfragen 75 % der britischen Bevölkerung für die Monarchie aus. Vor dem tragischen Unfall von Diana lag diese Zahl bei unter 50 %. Seit Jahren diskutieren die Briten lebhaft über Sinn und Unsinn der Monarchie, mehrere Bewegungen sprechen sich für eine Abschaffung aus. Nach dem Tod Dianas sah es wirklich knapp aus für die Monarchie. Auch Thronfolger Charles hat mit seinen Vorlieben für Tampons und Pferde nicht gerade zur Popularität beigetragen. Große Sexpartys und Drogenorgien unter den gelangweilten Angestellten in den Palästen, die Seitensprungaffären von Diana und Charles etc. sind Zeugnisse des Umstandes, dass auch die Royals schließlich nur Menschen sind. Doch das königliche Protokoll und die puritanische Erwartungshaltung der britischen Bevölkerung stehen dem Menschsein der Royals im Wege.
Eine Vermutung- die Medien stützen die Monarchie- und brauchen sie und andersrum
Obschon ein von und zu Guttenberg weder als Wirtschaftsminister (Rücktrittsandrohung bei Opel-Hilfe? Pustekuchen), noch als Verteidigungsminister (Bundeswehrreform, Vorfall in Kunduz), noch als Doktorand überzeugen konnte, war er innerhalb der deutschen Bevölkerung äußerst beliebt. Nach seinem Rücktritt meldeten sich viele Stimmen, die sich für einen Verbleib des CSU-Politikers aussprachen. Bei genauerer Befragung konnte kein Mensch wirklich erklären, warum von und zu G. bleiben sollte, es konnten keine wirklichen Argumente benannt werden. Sind die Hochglanzbilder von Gala, Bunte und Co. Hierfür verantwortlich? Denn Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg war und ist vorzeigbar, anders als die meisten anderen Politiker. Wie weit muss diese Wirkung für die britischen Royals gelten? Die Hochzeit wird medial ausgeweidet, heute können geneigte Zuschauer die Hochzeit bei sechs Sendern live verfolgen (ARD, ZDF, RTL, SAT1, N24, NTV; also eigentlich nur drei Redaktionen). Sämtliche Zeitungen berichteten im Vorfeld lang und ausführlich über das Ereignis. Diese Bilder/Berichterstattungen, befriedigen sie „unsere“ Träume von einer romantischen Vorstellung von einem Prinzen und seiner Geliebten? Der Alltag für die Royals kann zuweilen knallhart sein, Ehebruch (also eine ziemlich unromantische Tatsache) ist gerade für die Windsors kein Fremdwort. Man brauchte kein WikiLeaks, um diese Tatsache an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Vielleicht ist es die goldene Kutsche, die prächtige Hochzeit, der Empfang auf dem Balkon, die „unsere“ Sicht auf die Realität versperren, vielleicht wollen die Menschen nur träumen, und sei es nur für den Augenblick. Immerhin ist die Inszenierung der Hochzeit besser als die meisten Hollywood-Produktionen. Also warum die Menschen nicht träumen lassen? Vielleicht weil diese Träumerei die Sicht auf wirklich wichtige Dinge ablenkt, vielleicht aber auch weil Träume sich zu Alpträumen entwickeln können.
Ein Beitrag von Nadine Schmidt
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