In Syrien halten die Proteste weiter an, am gestrigen Tag demonstrierten zehntausende Menschen gegen das Regime der Baath-Partei. In Damaskus wurden tausende Demonstranten von der Polizei mittels eines Tränengas-Einsatzes auseinander gejagt. Erstmals wurden auch Parolen skandiert, die eine Absetzung des syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad forderten. Die Protestwelle erreichte auch andere Städte in Syrien, so gingen die Menschen in Dar´a, Baniyas, Latakia, Homs und Qamischli auf die Straße. Nach unbestätigten Berichten sollen bislang über 200 Menschen im Zuge der Demonstrationen umgekommen sein.
Staatspräsident Assad hatte als Zugeständnis an die Demonstranten in den vergangenen Wochen die bestehende Regierung aufgelöst und eine Neue benannt. Dennoch wollen die Protestierenden den politischen Status Quo nicht hinnehmen, Syrien gilt als einer der repressivsten Staaten der Welt. Seit 1962 gilt der Ausnahmezustand im faktischen Ein-Parteien-Staat, Pressefreiheit ist nicht existent, dafür grassiert die Korruption und die Vetternwirtschaft. So werden die beiden Mobilfunkanbieter Syriens (SyriaTel und Investcom) von Cousins des Präsidenten Assad geleitet. Diese Vetternwirtschaft zieht sich wie ein roter Faden durch alle wichtigen Posten im Land hindurch. Darüber hinaus gilt die Präsidentenfamilie als Mitglied der Religionsgemeinschaft der Alawiten (einer schiitischen Art), im Zusammenhang mit der Bevorzugung durch die Vetternwirtschaft scheint sich der Eindruck aufzudrängen, dass andere Religionsgruppen diskriminiert werden. In Syrien leben neben Sunniten (75 % der Bevölkerung) Christen diverser Kirchen (ca 15 %), die Alawiten (6%), Schiiten (2%) und Drusen (2%). Die Diktatur der Baath-Partei hat nur mit Härte Religionskonflikte zu verhindern versucht. Da nimmt es nicht wunder, dass Assad die Muslimbruderschaft aus Libanon als Drahtzieher der Unruhen verantwortlich macht.
Neben der religiösen Vielseitigkeit leben verschiedene ethnische Gruppen, wie Kurden (ca. 10%), Armenier (3 %) und Turkmenen bislang in Eintracht mit der Bevölkerungsmehrheit der arabisch stämmigen. Doch die permanente wahrgenommene Diskriminierung verschiedener Gruppen baut Spannungen auf, das Massaker von Hama 1982 (mit geschätzten 30.000 Toten) richtete sich gegen vermeintliche Islamisten. Es steht zu befürchten, dass nach einem Umsturz der Baath-Partei ähnliche Konflikte ausbrechen werden, wie nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak 2003, als verschiedene religiöse Gruppen gegeneinander aufgewiegelt wurden.
Seit Ausbruch der Proteste am 15 März in Dar´a war die Demonstration in Damaskus die größte ihrer Art in Syrien. Eine der Hauptforderung lautet die Aufhebung des Ausnahmezustandes, wider Erwarten hatte Assad den Ausnahmezustand nicht aufgehoben. Doch zusehends radikalisieren sich die Forderungen der Protestierenden, der Ruf nach einem wirklichen Wechsel wird immer lauter. Einige Demonstranten in Damaskus zeigten Assad symbolisch die Gelbe Karte. Ein Augenzeuge berichtet der Reuters Nachrichtenagentur, dass 15 Busse herangekarrt wurden, die Insassen (allem Anschein nach Mitglieder des syrischen Geheimdienstes) gingen mit Stöcken gegen die Menge vor.
Die Proteste in in Dar´a, Baniyas, Latakia, Homs und Qamischli blieben weitestgehend friedlich. Die Vorgehensweise der Protestierenden und ihre Motive sind nicht homogen, der Menschenrechtsaktivist Haytham Manna brachte es auf den Punkt: „ Es ist sehr schwierig, eine einheitliche Stimme nach 48 Jahren Ausnahmezustand zu haben.“