Captain Jack Sparrow ist ein sympathischer Tollpatsch an Pirat, und der Sympathieträger in Disneys „Fluch der Karibik“ schlechthin. Die Realität in der Piraterie ist weit weniger malerisch und romantisch, in der Realität sind die Piraten weniger tollpatschig und gehen mit schweren Waffen auf Tanker, Frachtschiffe und zuweilen auf Privatyachten und fordern hohe Lösegelder. Insbesondere die Piraterie vor der Küste Somalias fügt dem Welthandel solche Schäden zu, dass die Industrienationen dieser Welt sich ein maritimes Stelldichein vor besagter Küste geben, um eben diese Schiffe vor Übergriffen zu schützen. Die Gründe für das massive Aufkommen der Piraterie vor der Küste Somalias sind vielfältig und können mit keiner Kriegsmarine der Welt gelöst werden. Die zehn „unromantischen“ Piraten werden nun von den Niederlanden an Deutschland ausgeliefert, ihnen wird der Prozess in Hamburg am Landgericht gemacht.
Die Entführung- gar nicht Disney-like
Das unter deutscher Flagge stehende Containerschiff „MS Taipan“ wurde am 5. April 2010 in somalischen Gewässern von zehn Piraten geentert.Diese waren mit schweren Maschinengewehren und Panzerfäusten bewaffnet. Dreizehn Seeleute befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Schiff: zwei Deutsche, drei Russen und acht Seeleute aus Sri Lanka, also normale Verhältnisse auf der See. Die Besatzung konnte sich verschanzen und einen Notruf absetzen. Daraufhin gelang es niederländischen Spezialeinheiten das Schiff und die Crew zu befreien, die Piraten wurden festgenommen und in die Niederlanden gebracht. Dort beschloss nun ein Gericht, diese Piraten an Deutschland auszuliefern. Nach deutschem Recht können die Piraten eine Haftstrafe von fünf bis 15 Jahren bekommen, einer der Piraten ist anscheinend minderjährig, dieser kann eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren nach Jugendstrafrecht aufgebrummt bekommen.
Wachsen Piraten auf Bäumen? Oder woher kommen sie?
Somalia wurde 1960 unabhängig, der Norden existierte bis dato als britische, der Süden hingegen als italienische Kolonie. 1969 gab es einen Militärputsch, an der Spitze mit Siad Barre. Barre lehnte sich im Zuge des Kalten Krieges an die Sowjetunion, bis es 1977 zu einem Krieg mit Äthiopien kam, zu diesem Zeitpunkt war Äthiopien ein Verbündeter der Sowjetunion. Daraufhin suchte Barre Hilfe von den Westmächten. Um seine Macht zu sichern, schürte Barre zwischen den vorhandenen (und mächtigen) Clans Konflikte. Mehrere bewaffnete Gruppen schlossen sich zu einer Allianz, um Barre 1991 zu stürzen. Dieser konnte nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr auf die Unterstützung der USA und co stützen. Die siegreiche Rebellenallianz konnte sich nicht auf eine Machtteilung einigen, und somit begann der Bürgerkrieg in Somalia.
Somalia als Failed State
Seitdem gibt es keine funktionierende Zentralregierung in Somalia. Der Norden hat sich als Somaliland abgespalten, wird aber völkerrechtlich nicht anerkannt. Weitere Regionen, wie Puntland (als Piratenhochburg verschrien), wollen eine Autonomie für sich reklamieren. In den andauernden Gefechten kämpfen die Clans, politische Gruppierungen (wie die islamistische al-Shabaab) und Warlords in wechselnden Bündnissen miteinander und gegeneinander. 1992 versuchte die UN in der UNOSOM Mission den Bürgerkrieg zu beenden, in der „Schlacht von Mogadischu“ erlitten die US-Amerikaner einen Verlust von 18 Soldaten, über 1000 somalische Milizionäre wurden getötet, Hollywood-authentisch dargestellt im Film „Black Hawk down“. Danach haben sich die USA (und mit ihr der Rest der Welt so zusagen) aus Somalia zurückgezogen. 2006 sah es so aus, als ob die Union islamistischer Gerichte die Herrschaft an sich reißen konnten, allerdings hat Äthiopien militärisch eingegriffen. Äthiopien befürchtet Gebietsansprüche seitens einer somalischen Zentralregierung im Gebiet Ogaden, wo mehrheitlich muslimische Somalier wohnen (Kriegsgrund 1977). Die Union wurde vertrieben, allerdings spaltete sich von ihr die radikalere al-Shabaab Bewegung ab, die seitdem den Süden Somalias kontrolliert. Eritrea unterstützte wiederum die somalischen Milizen, Äthiopien und Eritrea führen in Somalia einen Stellvertreterkrieg. Bis heute beliefern beide Staaten ihnen wohlgesonnene Milizen in Somalia, trotz UN-Waffenembargo. Seit 2009 sitzt Sharif Sheikh Ahmed der provisorischen Regierung Somalias als Präsident der Übergangsregierung vor, seine Macht wird deutlich von den Clans beschnitten. Das Land ist de facto unter ihnen aufgeteilt.
Die Gründe der Piraterie
Das fehlen einer zentralstaatlichen Instanz führt auch zum Wegfall des Küstenschutzes, dieser besteht nicht. Daher haben es ausländische Fischerboote einfach, die einst fischreichen Gründe vor Somalia leer zu fischen. Die einfachen somalischen Fischer in ihren kleinen Booten haben keine Chance gegen die hochmodernen Hochseefischflotten der Japaner, Russen, Inder etc. Die Fischer sind somit von ihrer Lebensgrundlage ausgeschlossen. Daher darf es nicht verwundern, dass ein Großteil der Piraten ehemalige Fischer sind, die sich bestens in den Gewässern auskennen. Des Weiteren stellt das Verklappen von Giftmüll in diesen Gewässern ein weiteres Problem dar. Durch das Fehlen eines Küstenschutzes verklappen viele Unternehmen ihr Giftmüll in somalischen Gewässern. Die eh abgegrasten Fischbestände nehmen weiter ab, die Bewohner an der Küste zeigen Vergiftungen auf. Hier wird das rabiate Vorgehen der wenig zimperlichen Piraten vielleicht ein wenig erklärt.
Zudem haben die Warlords und Clanchefs nach einiger Zeit verstanden, dass das Kapern von Handelsschiffen viel (Löse-)Geld einbringt, seitdem statten sie die Piraten mit immer moderneren Waffen, aber auch Satellitentelefonen und Navigationsgeräten aus, und bekommen selbstverständlich ihren Anteil. Die Ironie: die als terroristisch erklärte al-Shabaab Miliz hatte die Piraterie bekämpft, fielen ihr doch auch Schiffe befreundeter Mächte (also Saudi-Arabien) zum Opfer. Im Zuge des Anti-Terror Kampfes wurde die Union islamistischer Gerichte und die al-Shabaab Miliz bekämpft. Die USA liefern Waffen an die Gegner der Union. Die Bevölkerung, mehrheitlich sufistisch und damit keineswegs radikal islamisch, sieht die Einmischung seitens der USA eher skeptisch, die Sympathien fliegen somit der islamistischen Miliz zu.
Das Horn von Afrika ist aber auch eine hohe Verlockung. Die vom Bürgerkrieg gezeichnete, ausgehungerte und ungebildete Bevölkerung (nur 10 % der Kinder besuchen eine Schule, und dann meist Koranschulen) sieht täglich Handelsschiffe aller Welt und aller Güter an ihrer Küste vorbeiziehen. Eine rhetorische Frage: wären sie Vater oder Mutter eines Kindes, welches hungert weil andere Nationen ihre Fische wegnehmen, es gleichzeitig vergiften und das politische Chaos in ihrem Land mit verursacht haben, und sie sehen auch keine Chance aus eigenen Kräften (Bildung) aus diesem Dilemma raus zukommen, hätten sie moralische Bedenken?
Und die Lehre aus der Geschicht´?
Fataler weise wirkt sich die Piraterie auch auf die unbeteiligte Zivilbevölkerung aus, Hilfsorganisation weigern sich, Nahrungsmittel per Schiff nach Somalia zu bringen. Die angespannte Versorgungslage wird schlechter, die Lebensmittelpreise steigen um ein Drittel. Aber auch die Schiffsbetreiber haben mit Problemen zu kämpfen, die Versicherungsprämien steigen, andere Routen liegen ungünstiger und kosten weit mehr. Auch Ägypten befürchtet Einnahmeverluste am Suez-Kanal. Es ist wohl anzunehmen, dass die Strafen der zehn Piraten der Taipan recht hoch ausfallen werden, schließlich soll das Urteil eine Signalwirkung haben. Ob die Somalier dieses Urteil überhaupt mitbekommen, und selbst wenn ja, die Piraterie nur noch Hollywood überlassen, ist unter Beachtung der Realität nahezu ausgeschlossen.
Es ist keine dauerhafte Lösung, die Hoheitsgewässer Somalias mit ausländischer Marine zu überwachen. Eine weitere militärische Einmischung (ob mit oder ohne UN-Mandat) bringt im Pulverfass Somalia auch nicht die Lösung. Allerdings darf man verlangen, dass der Zusammenhang, Piraterie in Somalia hat mit Armut zu tun , und weiterhin dass die Armut Ursachen hat, genannt wird. Auch in Deutschland. Wie sagte Jack Sparrow nochmal so schön in Teil 3: „Das ist beeindruckend unhilfreich!“. Na denn, Prost Herr Kapitän!